DU-Fall Serbien: Team von Srdan Aleksic reicht Klage gegen die NATO vor Gericht in Belgrad ein

24. April 2021 Artikel, Blog-Beiträge, ICBUW
Higher Court in Belgrad (Author: Belgrad Higher Court)

Seit Jahren kämpft der serbische Anwalt Dr. Srđan Aleksić – unterstützt durch ein internationales Team von Juristen, Journalisten und Wissenschaftlern – für die Opfer der NATO-Bombardierungen Ex-Jugoslawiens mit DU-Munition. ICBUW verfolgt aufmerksam die Entwicklungen und steht in engem Kontakt und intensivem Austausch mit dem Team von Aleksic. Seine Anwaltskanzlei hat vor einigen Wochen (20.1.21) im Namen von serbischen Bürgern, die nach der DU-Bombardierung an Krebs erkrankt sind, vor dem Obersten Gericht in Belgrad Klage gegen die NATO erhoben.

Das Aleksic-Team macht damit Schadensersatz für Gesundheitsschäden bei Soldaten, Polizisten und Reservisten geltend, die sich in Gebieten aufhielten, wo DU-Munition während des NATO-Einsatzes verwendet wurde – vor allem in Südserbien und Kosovo.

Ein wichtiger Bezugspunkt dieser Klage ist das Urteil des Bezirksgerichts in Belgrad aus dem Jahr 2001, in welchem die strafrechtliche Verantwortlichkeit von NATO-Befehlshabern sowie führenden Vertretern der NATO-Mitgliedstaaten festgestellt wurde. Obwohl das Urteil aufgehoben wurde, wurden die Angeklagten nicht freigesprochen – somit gilt der Fall im serbischen Rechtssystem immer noch als nicht abgeschlossen; Verjährungsfrist ist nicht eingetreten und es wurde ein Kriegsverbrechen gegen Zivilpersonen festgestellt. An dieses Verfahren möchte das Team von Sdran Aleksic im neuen Prozess anknüpfen. Politische Immunität steht dem Prozeß nicht im Wege, da es sich um den Fall eines Kriegsverbrechens handelt – so Aleksic. Die NATO wird von seinem Team als eine internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit und eigenem Budget betrachtet, aus welchem der Schadensersatz gezahlt werden soll – die NATO-Bereitschaft zu zahlen, wird jedoch wahrscheinlich kaum vorhanden sein. Aber es geht dem Anwalt aus Nis nicht nur um die Entschädigung für seine Mandanten – die Klage soll auch einen Mediationsangebot an die NATO darstellen, die mit der Republik Serbien durch das Partnership for Peace Abkommen von 2006 verbunden ist..

Es gab Überlegungen, das Verfahren vor Gerichten in NATO-Staaten einzuleiten, jedoch hat sich das Team von Aleksic dagegen entschieden. Nach Einschätzung des Anwalts würden sich die Gerichte für unzuständig erklären. Dies könnte man anhand der erfolglosen Klagen von Verwandten von Journalisten sehen, die während der NATO-Luftangriffe 1999 umgekommen sind. Angeblich waren weder ein Gericht in Italien noch der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) in Straßburg zuständig – mit der Begründung, dass es sich nicht um italienische Staatsbürger handelte. Eine ähnliche Klage in Deutschland im Fall des Streumunitionsopfers Milica Rakić sei aus dem gleichen Grund gescheitert.

Angesichts der hohen Kosten erschien es dem Team nicht sinnvoll, die Gerechtigkeit vor Gerichten außerhalb Serbiens zu suchen, vor allem wenn die Aussicht auf Erfolg so gering ist. Aber auch in Serbien sind die Kosten für die Einleitung und Führung eines Verfahrens hoch, und es ist beabsichtigt, einen Fonds zur Finanzierung der Gerichtskosten zu gründen.

Nach Einschätzungen von Srđan Aleksić sind die Chancen auf Erfolg vor einem Gericht in der serbischen Hauptstadt hoch: „Wir sind uns sicher, diesen Prozess zu gewinnen. Bürger der Republik Serbien, die Krebs haben, sind in der gleichen rechtlichen Position wie Soldaten der italienischen Armee, die nach dem Aufenthalt in Kosovo und Metohija aufgrund der schädlichen Folgen des Einsatzes von DU-Munition Krebs bekamen.“ Vor italienischen Gerichten war ein entsprechender Kausalzusammenhang festgestellt und Schadensersatz zuerkannt worden.

Das Aleksic- Team versucht weiterhin, die Aufmerksamkeit der Medien an sich zu ziehen: in Serbien berichteten zahlreiche Zeitschriften über das Verfahren – darunter eine der größten oppositionellen Zeitungen Danas und Juzne Vesti aus Nis. Auch die deutschsprachige Zeitung der ex-jugoslawischen Community in Österreich „KOSMO“ veröffentlichte ein Interview mit Aleksic, in welchem er über die Hintergründe der Klage berichtet. Die Aufmerksamkeit von Medien ist für Aleksic auch ein Mittel, Experten des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) nach Serbien zu bringen: Auf Anraten von ICBUW hatte sein Team das entsprechende (fast kostenneutrale) Menschenrechtsbeschwerdesystem aktiviert; Beschwerden und Unterlagen nach Genf geschickt. Auf die damit verbundene Anfrage, den Fall unabhängig zu untersuchen, gab es bisher aber leider keine Antwort.

Sollte die jetzige Klage Erfolg haben, wird die Entscheidung des Gerichts in Belgrad ein wichtiger Meilenstein in der serbischen Rechtsprechung und allgemein von DU-Rechtsprechung sein – nicht nur für DU-Opfer in Serbien, sondern weltweit. ICBUW verfolgt weiterhin das Geschehen in Nis und Belgrad und hofft auf den Erfolg von Srdan Aleksic und seinem Team vor Gericht; weitere Klagen vor serbischen Gerichten, dann auch namens von Zivilpersonen, sind geplant. Arbeitsaustausch und Konsultationen werden jedenfalls fortgesetzt…

(Ilia Kukin/Manfred Mohr)