Uranwaffen – Stand 2022

3. Juli 2022 Artikel, Blog-Beiträge, Publikationen und Videos
Auf dem Foto rechts: russischer Geschoss "Svinets" mit abgereichertem Uran.

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine stellt sich die Frage, ob Russland dort Uranmunition einsetzt. Und: verfügt die Ukraine über solche Waffen? Welche Länder haben überhaupt Waffen mit abgereichertem Uran in ihren Arsenalen? Es gibt nicht viele Fälle der Verwendung von Waffen mit abgereichertem Uran (DU), die in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurden, am bekanntesten sind der Irakkrieg und die Operation Allied Force im ehemaligen Jugoslawien. Seitdem gab es mehrere Berichte über DU-Einsatz, von denen einige (z.B. durch die USA in Syrien gegen IS-Ziele) offiziell bestätigt wurden, während es sich bei anderen um Behauptungen mit wenigen bis gar keinen Beweisen handelte (z.B. DU-Einsatz durch die von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine 2014). Keiner von diesen Fällen hat jedoch so viel Aufmerksamkeit erregt wie der des ehemaligen Jugoslawiens oder des Iraks. Diese Tatsache erinnert uns daran, dass wir neben dem Verbot der Herstellung, Bevorratung und Verwendung von Uranwaffen die Opfer dieser Waffen nicht vergessen dürfen. Ein opferorientierter Ansatz ist von immenser Bedeutung, da die Menschen in den kontaminierten Gebieten oft ohne Hilfe gelassen werden und keinen Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf in Form eines Gerichtsverfahrens haben sowie keinen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, in welchen sie entsprechend behandelt werden können.

Die Antwort auf die beiden oben genannten Fragen ist kompliziert, da ein großer Teil der Informationen über DU-Waffen geheim ist. Für einige Staaten gibt es jedoch zuverlässige Informationen zu diesem Thema.

Russland und die Ukraine

Russland verfügt über eine beträchtliche Anzahl verschiedener DU-Munition in seinen Arsenalen. Es gibt Berichte über die Massenproduktion von DU-Munition der Typen Svinets-1 und Svintes-2, für die die T-80BVM Panzer in den letzten Jahren modernisiert wurden. Es scheint, dass Russland sein DU-Programm nicht aufgegeben hat, sondern ganz im Gegenteil – es hat die Produktionsmengen erhöht und modernisiert aktiv veraltete Panzer, um sie für den Einsatz von DU-Munition zu rüsten. Auch wenn es noch keine zuverlässigen Berichte gibt, befürchtet ICBUW angesichts der DU-fähigen Panzer, die bei der russischen Invasion verwendet werden, den Einsatz von DU in der Ukraine.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Produktion von abgereichertem Uran eng mit dem nuklearen Zyklus verbunden ist. Enorme Mengen von DU-Abfall, die in den letzten Jahren von Russland eingeführt wurden, sind ein beunruhigendes Zeichen – eine militärische Verwendung des importierten DU ist jedoch eher unwahrscheinlich: Russland verfügt über eigene DU-Produktion, bestens geeignet für eine Waffenverwendung.

Die Ukraine, auf der anderen Seite, verfügte bereits zu Sowjetzeiten über DU-Munition. Nach Angaben von Militärvertretern wurde der Großteil der Munition noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die Russische SFSR verbracht. Im Jahr 2001 war die restliche Munition nicht mehr im Einsatz, da sie als veraltet galt (die Munition wurde in den 60er Jahren hergestellt) und ihre Entsorgung war geplant.

Obwohl mehrfach behauptet wurde, dass die USA, Frankreich oder andere NATO-Länder DU-Waffen zu Verteidigungszwecken an die Ukraine liefern (oder geliefert haben), gibt es keine zuverlässigen Quellen, die diese Informationen bestätigen. ICBUW hat mehrere derartige Behauptungen untersucht und keine stichhaltigen Beweise gefunden – so sind FGM-148 Javelin-Raketen mit einem Sprengkopf des Typs HEAT ausgestattet, der im Gegensatz zu KE-Geschossen („Wuchtgeschossen“) keine Komponenten aus abgereichertem Uran benötigt. Das Panzerabwehrraketensystem MILAN verwendet ebenfalls kein abgereichertes Uran, auch wenn es eine andere fragwürdige Komponente  – Thorium – beinhaltet. Wir beobachten die Situation weiterhin und werden derartige Behauptungen auch in Zukunft untersuchen.

USA

Die USA spielten in der Vergangenheit eine führende Rolle bei der Herstellung von DU-Munition. Im Dezember 2021 hat das US Army Contracting Command dem Unternehmen General Dynamic einen Auftrag zur Demilitarisierung und Entsorgung von abgereichertem Uran erteilt. Als Abschlusstermin ist der 20. November 2026 vorgesehen. Die Entsorgung ist für Panzerung aus abgereichertem Uran vorgesehen, die mehrere amerikanische Panzermodelle schützte, sowie für panzerbrechende DU-Geschosse, die z. B. in der A-10 GAU-8 Avenger 30-mm-Kanone zum Einsatz kamen. Anfang des Jahres bestätigte auch der US-Rüstungshersteller Northrop Grumann, dass er die Produktion von Waffen mit abgereichertem Uran einstellt.

Großbritannien

Das Vereinigte Königreich hat noch zwei Typen von Geschossen mit abgereichertem Uran im Dienst – CHARM 1 und CHARM 3, beide für die 120-mm-Panzerkanone L30 Royal Ordnance entwickelt. CHARM 1 wurde in den frühen 90er Jahren entwickelt, CHARM 3 wurde 1999 in Dienst gestellt. Kanone und Munition kommen beim Kampfpanzer Challenger 2 zum Einsatz, der gerade einem Modernisierungsprogramm unterzogen wird. Die modernisierten Panzer werden den Namen „Challenger 3“ tragen. Eine der wichtigsten Verbesserungen ist der neue Turm, der mit der neuesten Rheinmetall 120mm L55A1 Glattrohrkanone ausgestattet wird. Im Unterschied zu früher ist es unwahrscheinlich, dass diese Panzer in Zukunft mit DU-Munition mit ausgestattet werden, da Rheinmetall keine APFSDS-Munition mit DU-Penetratoren herstellt und es keine Pläne gibt, solche Munition zu entwickeln und zu produzieren. Die neue L55A1-Kanone ist für die Munition aus deutscher Produktion optimiert, so dass das Vereinigte Königreich NATO-Standardmunition (DM33, DM43, DM53 und DM63) ohne abgereichertes Uran verwenden kann.

Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass CHARM 1 und CHARM 3 noch im Dienst sind, da nach dem aktuellen Zeitplan die britische Armee erst 2030 mit Challenger 3-Panzern ausgestattet sein soll.

Indien

Indien setzt die Panzer T-90S Bhishma und T-72 Ajeya ein, bei denen es sich um Modifikationen der russischen Panzer T-90 und T-72 handelt. Beide sind in der Lage, 3BM-46 Svinets-Geschosse zu verschießen, die mit abgereichertem Uran bestückt sind. Es gibt Berichte darüber, dass Indien eigene DU-Geschosse entwickelt, jedoch sind keine zuverlässigen Informationen öffentlich zugänglich.

Pakistan

Pakistan hat Berichten zufolge eigene DU-Panzerabwehrgeschosse für 105-mm sowie 125-mm Kanonen mit einem Durchschlagskörper aus abgereichertem Uran für die von der pakistanischen Armee genutzten Panzer Al-Zarrar und T-80UD entwickelt. Auch wenn die Produktionsmengen geheim sind, werden die Geschosse vom National Development Complex hergestellt und sind vermutlich seit Anfang bis Mitte der 2000er Jahre im Dienst. Die letzten Berichte, in denen bestätigt wurde, dass die Geschosse noch im Dienst sind, stammen aus dem Jahr 2016. Es ist davon auszugehen, dass sie bis heute noch nicht ausgemustert wurden, da die Panzer, für die sie entwickelt wurden, in der pakistanischen Armee immer noch als modern gelten.

Frankreich

Das französische Parlament hat bestätigt, dass Uranmunition (für die Leclerc-Panzer) im Jahr 2013 im Dienst war. Es handelt sich um den Munitionstyp OFL 120 F2 APFSDS-T. Es gab Berichte über die Entwicklung der neuen PROCIPAC APFSDS-T-Munition mit DU-Penetrator (ebenfalls für den Leclerc); es ist jedoch unklar, ob sie fertiggestellt wurde, und welchen Namen die Munition erhielt, da „PROCIPAC“ der Codename in der Entwicklungsphase war. Die AMX-30-Panzer waren mit OFL 105F2 APFSDS-T-Munition ausgerüstet, die abgereichertes Uran enthielt; die französische Armee hat aber ihre Panzer der AMX-30-Serie 2011 außer Dienst gestellt, so dass der Leclerc der einzige DU-fähige französische Panzer ist.

China

China stellt auch eigene Geschosse mit abgereichertem Uran her. Chinesische Panzer der Typen 99, 98 und 90 können 125-mm APFSDS-T-Geschosse mit abgereichertem Uran verwenden. Type 85-III Panzer können ebenfalls mit DU-Geschossen ausgerüstet werden. Darüber hinaus hat China ein 105-mm APFSDS-T-Geschoss für seine Panzer Type 85-II, Type 80, Type 79 und Type 59 entwickelt. Der neue Panzer Type 99 ist ebenfalls mit einer 125-mm-Kanone ausgestattet, die möglicherweise den Einsatz von in China hergestellter DU- Munition erlaubt. In Anbetracht der Vielzahl der in Produktion und im Dienst befindlichen DU-Geschosse verfügt China möglicherweise über eines der größten DU-Arsenale der Welt.

Staaten, die DU-Munition importieren

Es gibt mehrere Staaten, die keine eigene DU-Munition entwickelt haben und sich auf importierte, im Ausland hergestellte DU-Munition verließen (oder immer noch verlassen). Diese Liste soll nicht als erschöpfend angesehen werden, da nicht alle Länder ihre Waffengeschäfte offenlegen.

  • Bahrain – Bahrain hat 1994 105-mm-DU-Munition für die 1990 angeschafften M60A3-Panzer gekauft. Im Jahr 2013 waren mindestens 54 M60A3 im Dienst. Es ist jedoch unklar, ob die DU-Munition auch noch Verwendung findet.
  • Israel – Wie Bahrain hat auch Israel in den 1990er Jahren in den USA hergestellte 105-mm-M833-Munition gekauft. Es gibt keine Berichte darüber, dass Israel DU-Munition außer Dienst gestellt hat, allerdings wurden die meisten DU-fähigen Panzer (v.a. Magach, basierend auf dem M60A3) 2014 ausgemustert. Israel hat in den letzten Jahren die Anzahl der Kampfpanzer reduziert und sich auf Innovationen im Verteidigungssektor konzentriert, so dass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob DU in der Munition israelischer Panzer noch eine Rolle spielt.
  • Jordanien hat ebenfalls 105-mm DU-Munition von den USA gekauft, es gibt jedoch keine Informationen über deren Verwendung oder Berichte darüber, ob die Munition noch im Dienst ist.
  • Taiwan verfügte über 105-mm-M774-Munition, die sie von den USA erworben hatte, sowie über 20-mm-DU-Munition aus derselben Quelle. Im Jahr 2012 wurde im Auftrag der taiwanesischen Regierung die Federal Contract Opportunity für die Demilitarisierung und Entsorgung von DU-Munition aus Taiwan ausgeschrieben. Es muss davon ausgegangen werden, dass dieser Vertrag inzwischen umgesetzt wurde.
  • Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit M833-Geschosse gekauft, aber es gibt keine aktuellen Informationen darüber.
  • Die Türkei kaufte Anfang der 1990er Jahre 22920 120-mm M833 und 85451 105-mm M774 APFSDS-T DU-Geschosse von den USA. Es gibt keine zuverlässigen Informationen über die Entsorgung der Munition, und es ist auch unklar, ob die Munition noch im Dienst ist.
  • Südkorea – Im April dieses Jahres hat Südkorea ca. 1,3 Millionen Geschosse mit abgereichertem Uran zur Vernichtung „gemäß den Routineverfahren“ (Zitat: Sprecherin der US-Armee, Oberstleutnant Kelley Jeter) an die Vereinigten Staaten zurückgegeben. Offenbar handelt es sich hierbei um eines der ersten Anzeichen für die oben erwähnte Entsorgung von DU-Waffen durch die USA, da die betreffende Munition von der US-Armee im Rahmen einer Vereinbarung zwischen den beiden Ländern aus dem Jahr 1975 dort gelagert wurde. Kim Jin-pyo, Mitglied des Nationalen Verteidigungsausschusses und der Demokratischen Partei Südkoreas, bezeichnete dieses Ereignis als „willkommene Abkehr“, da die Munition eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit darstelle, selbst dann, wenn sie lediglich gelagert wurde.

Fazit

Die Tatsache, dass die USA (mit ihrem weltweit größten Bestand an DU-Munition) die Demilitarisierung und Entsorgung ihrer DU-Munition planen, ist zweifellos ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist jedoch unklar, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf andere Länder haben wird, die DU-Munition im Dienst haben. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Wandel in der US-Militärpolitik andere Länder (zumindest vorerst) nicht dazu bewegen wird, die gleiche Entscheidung zu treffen. Russland beispielsweise hat vor kurzem seine T-80-Panzer so modernisiert, dass sie DU-fähig sind (obwohl es das Vorgehen der USA in Jugoslawien verurteilte), China und Pakistan haben ihre eigene Munition mit abgereichertem Uran entwickelt und scheinen keine Pläne zur Entsorgung zu haben.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Transparenz in den Streitkräften der Welt – die meisten Informationen darüber, ob bestimmte Waffen im Dienst sind, sind geheim, ebenso wie deren Entwicklung und Produktion. Es ist möglich, dass andere Staaten, die in diesem Bericht nicht erwähnt werden, Munition mit abgereichertem Uran aus sowjetischer Produktion besitzen (insbesondere ehemalige Sowjetrepubliken) oder Munition von den USA, China oder anderen Ländern in der Vergangenheit gekauft haben. Waffen mit abgereichertem Uran sind nach wie vor ein großes Problem, und leider werden sie zumindest in den kommenden Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, nicht verschwinden.

ICBUW erinnert daran, dass der Einsatz von DU – aufgrund seiner radio-aktiven und chemisch-giftigen Eigenschaften – eine langfristige Gesundheitsbedrohung für Zivilisten und Militär gleichermaßen darstellt, den Wiederaufbau durch Konflikte verwüsteter Gebiete behindert, Angst verbreitet und seine Folgenbeseitigung schwierig und kostenintensiv ist. Die Eigenschaften von DU-Waffen machen es unmöglich, verseuchte Orte, auf die sie abgefeuert wurden, komplett zu dekontaminieren.

ICBUW beobachtet die Situation weiter und koordiniert weltweit die Kampagnenarbeit gegen DU-Munition. Mit der für 2022 geplanten Resolution der UN-Generalversammlung zum Verbot von Uranwaffen hoffen wir auf einen weiteren Schritt in Richtung eines vollständigen DU-Verbots.

Ilia Kukin, ICBUW-Koordinator

Wir laden alle, die über einschlägiges Wissen, Nachrichten oder andere Informationen verfügen, ein, zu dieser Übersicht beizutragen.